‘In Bern obe 2/25’
Kolumne erschienen im Wohler Anzeiger vom 28. Februar 2025
Ich freue mich, dass ich eine Kolumne im Wohler Anzeiger schreiben darf. Ich lebe schon 35 Jahre nicht mehr in Wohlen. In der Schweiz bleibt es dennoch so, dass man bald auf seine Heimat angesprochen wird. Und das ist Wohlen. In Bern muss ich ergänzen: Wohlen AG, auch wenn dies aus meinem Dialekt problemlos erkennbar wäre.
Wenn ich nach Wohlen (AG) komme, werde ich als derjenige ‘vo Bern obe’ betitelt. Ich muss Rechenschaft ablegen, über alles, was in Bern schiefläuft. Anfänglich habe ich mich gewehrt, weil all das Falsche durch Politiker und Politikerinnen verbrochen wird, welche Ihr uns nach Bern schickt. Offenbar wolltet Ihr diese nicht mehr bei Euch behalten. Ich habe es aufgegeben, umso mehr als ich lange bei den SBB und in der Bundesverwaltung gearbeitet habe. So werde ich erzählen, wie wir die Dinge ‘in Bern obe’ sehen.
Angesprochen werde ich oft, dass wir in Bern eine Demonstration hatten. Wie lästig und gefährlich! Praktisch jede Woche wird demonstriert: Kurden, Iraner, Bauern, Covid-Gegner. Wir rätseln kurz, wer es sein könnte, lassen uns beim Einkaufen jedoch nicht stören. Normal ist, dass man an Einsatzwagen mit gelangweilten Polizisten vorbeispaziert. Etwas mehr Blicke gibt es, wenn die Polizisten in Kampfmontur quer über die Strasse stehen. Doch auch hier führt meist ein Weg vorbei. Man bedauert nur, schwarz gekleidet zu sein. Aber die Gefahr einer Verwechslung mit dem ‘Schwarzen Block’ (das sind die Links-Alternativen aus gut-bürgerlichem Hause) ist in meinem Alter nicht gross.
Wir (Wahl-)Berner sind tolerant. Es stört uns nicht, wenn während der Session die Grünen vor dem Bundeshaus campieren, auch wenn dies verboten ist. Das ärgert nur die SVP. Wenn dann die SVP frühmorgens mit Hellebarde und Kerzli ein Laientheater auf dem Bundesplatz aufführt, kümmert das in Bern ebenso wenige, da der Wochenmarkt noch nicht geöffnet ist. Auch Minderheiten haben das Recht, ihre Meinung kundzutun! (PS. Die SVP hat in der Stadt Bern einen Wähleranteil von knapp 8 Prozent.)
Sie sehen, in Bern leben wir mit den Politikern und Politikerinnen, die Ihr gewählt habt. Wir sind tolerant gegenüber Demonstranten, sofern sie gegenüber anderen Meinungen genauso offen sind wie wir und sie uns nicht beim ‘kömerle’ (Freiämter-deutsch: chrömle, neu-deutsch: shoppen) stören.