Was ist die Raison d'être der Deutschen Bahn?

Wer eine Reise tut, kann etwas lernen. Das kanadische Bahnsystem ist so ganz anders, als was wir in Europa kennen. Der Zweck ist, möglich viele Güter auf der Schiene zu transportieren. Die Schieneninfrastruktur ist einfach, kostengünstig und auf weiten Strecken einspurig. Geschwindigkeit und Pünktlichkeit zählen wenig, Kapazität ist alles. Der Güterverkehr hat Vorrang. Die zwei grossen Güterbahnen sind börsenkotiert und rentabel. Via Rail, welche Personenzüge anbietet, ist eine staatliche Unternehmung und erhält Subventionen.

Das Schweizer Bahnsystems ist auf Pendlerverkehre ausgelegt. Pünktlichkeit und hohe Kapazität (mit Abdeckung der Spitzenstunden) prägen das System: Pünktlich zur Arbeit zu kommen, prägt das System. Freizeitverkehre gewinnen an Bedeutung, leiden jedoch unter dem strengen Taktsystem. Der Transitgüterverkehr hat dank politischer Unterstützung einen hohen Stellenwert, der Binnengüterverkehr muss laufend darum kämpfen, um nicht verdrängt und vergessen zu werden. Die Bahnen sind ganz oder teilweise staatlich und stark subventioniert.

Das französische Bahnsystem ist mit Ausnahme von einigen S-Bahn-System im Umfeld der grossen Städte auf hohe Geschwindigkeit ausgelegt. Schnelle Verbindungen zwischen den Städten verdrängen den inländischen Flugverkehr fast vollständig. Abseits der Städte ist Bahnreisen jedoch schwierig bis eingestellt. Das Bahnsystem ist das Abbild des zentralistischen Staatsverständnisses. Die SNCF wehrt sich nach Kräften gegen Verluste und Wettbewerb. Der Güterverkehr ist seit Jahren im Niedergang und muss aufgrund von europarechtlichen Vorschriften beihilfekonform finanziert werden.

Und das deutsche Bahnsystem: Auf was ist es ausgerichtet? Es gab die Zeit der ICE-Schnellfahrstrecken, welche zusammenhangslos und nicht interoperabel erstellt wurden. Dann verschoben sich die Prioritäten auf die Anbindung des Ostens. Mit Stuttgart 21 wurde eine wunderschöne Kathedrale des Bahnverkehrs erstellt, nur litt die Funktionalität darunter. Der Nahverkehr wird durch die Länder entwickelt, mal besser, mal weniger gut. Diese Dualität zeigt sich auch bei den Tarifen, wo zwischen Fernverkehrs- und Nahverkehrstickets unterschieden wird. Der Schienengüterverkehr führt ein Schattendasein im Anspruch der DB, ein Weltkonzern der Logistik zu werden. Mit dem absehbaren Verkauf der Logistiktochter DB Schenker wird nichts mehr die horrenden Verluste von DB Cargo überdecken.

Nun fokussiert sich die DB Leitung auf die Sanierung des maroden Schienennetzes, was zweifellos alternativlos ist, aber keine Zukunftsvision.

Das Verkehrsministerium hat in den letzten Jahren vieles auf den Weg gebracht. DB InfraGo ist das klare Bekenntnis, dass eine Eisenbahninfrastruktur nicht wie ein Unternehmen, sondern wie eine kritische Infrastruktur zu führen ist. Mehr Geld für das Schienennetz ist der erste Schritt zur Besserung. Pünktlichkeit entsteht jedoch nicht allein durch die bessere Verfügbarkeit des Netzes. Rollmaterial und Personal müssen auch hoch verfügbar sein.

Die Deutsche Bahn braucht einen Lebenszweck (Raison d'être). Alles nur bruchstückweise machen, hat zur heutigen Situation geführt. Zu viele Baustellen in der Organisation, zu wenige im Gleisfeld.

Was es braucht, ist Konzentration auf Weniges, das dafür gut: Zuerst eine massive Entschlackung des Konzerns mit Verkauf aller Beteiligungen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Eine InfraGo, welche über Leistungsvereinbarungen des Staates geführt wird, die Verfügbarkeit des Netzes garantiert und die Kapazitäten für Fern-, Nah- und Güterverkehr schafft (ob innerhalb oder ausserhalb des Konzerns ist zweitrangig). Der Schienengüterverkehr ist in eine eigene Gesellschaft auszulagern, welche mindestens zeitweise vom Staat unterstützt werden muss.

Dann bleiben für die Deutsche Bahn im Wesentlichen der Fernverkehr und die Bahnhöfe - dafür pünktlich, sicher und sauber und Deutschland weit im Takt. Das ist Aufgabe und Raison d'être genug.

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