Schienengüterverkehr: Weichen für die Zukunft auch organisatorisch stellen!

Der Ständerat hat als Erstrat das Reformpaket für den nationalen Schienengüterverkehr verabschiedet. Wie jede Neuigkeit zum Schienengüterverkehr hat dieser Entscheid in der Öffentlichkeit keine grossen Wellen geschlagen. Am bekanntesten ist, dass die Digitale Automatische Kupplung (DAK) eingeführt werden soll. Dabei ist die Totalrevision des Gütertransportgesetzes eine grundsätzliche Weichenstellung für den Schienengüterverkehr!

Der Schienengüterverkehr ist seit Jahrzehnten das grosse Sorgenkind der Bahnen, nicht nur in der Schweiz, sondern Europa-weit. Die Güterbahnen in Deutschland, Frankreich oder Polen kämpfen um ihre Existenz. Warum kommen sie nicht auf einen grünen Zweig?

1999 wurde der Netzzugang für den Schienengüterverkehr in der Schweiz eingeführt. Die Ängste waren gross, dass die damals gesundsanierte Deutsche Bahn AG den Markt überrollen würde. Die SBB versuchte diesem Druck mit einem Joint-Venture mit der italienischen Ferrovie dello Stato zu begegnen. Das Projekt scheiterte, bevor es begonnen hatte. In der Folge versuchte die SBB Cargo AG den Alleingang – und hatte wider Erwarten Erfolg. Die Basis für den Erfolg liegt darin, dass sich die Tochtergesellschaft SBB Cargo International AG auf den alpenquerenden Blockzugsverkehr konzentrierte und sich mit der Hupac AG einen grossen Operateur im kombinierten Verkehr ins Aktionariat holte. Dank dem vom Staat finanzierten Bau moderner Bahninfrastrukturen (NEAT), den (allzu langsamen) Fortschritten bei einheitlichen Parametern für den Güterverkehr (ERTMS, 750 Meter Zugslänge) und dem Bau von Grossterminals in den wichtigsten europäischen Logistikzentren entstand ein Geschäftsmodell, das wirtschaftlich tragfähig ist - selbst in Zeiten, wo die Qualität der Bahninfrastruktur einen geordneten Bahnbetrieb stark erschwert.

Für den nationalen Systemverkehr, dem sogenannten Einzelwagenladungsverkehr (EWLV), fehlt ein erfolgreiches und finanziell stabiles Geschäftsmodell. In Frankreich unterstützte der Staat die SNCF Cargo mit indirekten Zuschüssen, bis die EU-Kommission dieser Praxis einen Riegel schob. In Deutschland erfand der Staat Trassenpreissenkungen oder EU-Beihilfeverträgliche Subventionen, um die Löcher bei DB Cargo immer wieder zu stopfen. Jedoch: die EU-Kommission will diese Hilfen nur noch befristet akzeptieren. In der Schweiz wurde 2016 mit einer Reform des Gütertransportgesetzes nochmals auf einen eigenwirtschaftlichen Binnengüterverkehr gesetzt. Das Gesetz hatte  jedoch eine kurze Halbwertszeit. Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung der SBB verloren zunehmend das Interesse am defizitären nationalen Güterverkehr. Das Ende des Wagenladungsverkehrs war eine Frage der Zeit.

In diesem Umfeld wurde eine Vorlage erarbeitet, welche das bisherige Tabu brach: Der Wagenladungsverkehr als Systemverkehr soll staatlich finanziert werden. Gewählt wurde ein Modell, dass sich an die Leistungsvereinbarungen der Infrastruktur anlehnt (und nicht an die Bestellung von linienspezifischen Leistungen wie im Regionalverkehr): Dem Leistungserbringer im flächendeckenden Wagenladungsverkehr (SBB Cargo) werden die Leitlinien für das Angebot und ein finanzieller Rahmen für die staatliche Unterstützung vorgegeben. Die Verantwortung für ein effizientes Leistungsangebot verbleibt bei SBB Cargo.

Auf Druck der Finanzpolitiker wurde dieses Modell auf maximal 12 Jahre befristet und die Hoffnung auf einen längerfristig eigenwirtschaftlichen Betrieb hochgehalten. Die Erfahrungen mit befristeten Subventionen (z.B. der Anstosssubventionierung für den Huckepackverkehr: 1982 eingeführt, ev. 2030 auslaufend) lassen erwarten, dass dieses Modell den nationalen Schienengüterverkehr längerfristig prägen wird.

Damit kommen wir zu den Folgen der Weichenstellung. Die Vermischung von eigenwirtschaftlichen und subventionierten Leistungen in einer Unternehmung ist ein permanentes Minenfeld. Dass SBB Cargo den subventionierten EWLV betreibt und nationale Blockzüge im Wettbewerb fährt, ist die Achillesferse der Reform. Die Konkurrenten werden immer Quersubventionierungen vermuten, die Verantwortlichen bei SBB Cargo sind der Versuchung ausgesetzt, mit den Kostenzuscheidungen zwischen den beiden Bereichen zu spielen (wobei die Abwägungen regelmässig zulasten des subventionierten Bereichs gehen).

Dem Entscheid des Parlaments werden daher organisatorische Anpassungen bei SBB Cargo folgen müssen. Unter Berücksichtigung des erfolgreichen Modells des Blockzugsverkehrs im alpenquerenden, langstreckigen Schienengüterverkehr, wird die Bildung einer Tochtergesellschaft, welche sich ausschliesslich auf den subventionierten Systemverkehr mit Einzelwagenladungsverkehr konzentriert, eine Notwendigkeit. Dies begründet sich nicht nur durch die finanzielle Transparenz .Auch die Betriebsprozesse der beiden Sparten sind unterschiedlich und die Synergien zunehmend kleiner. Die nationalen Blockzugsverkehre können ohne weiteres in SBB Cargo International AG integriert werden. In Zukunft ist nicht die Unterscheidung ‘national’ oder ‘international’ wegleitend für die Organisation, sondern ‘Blockzug’ oder ‘Systemverkehr’. Die Gründung einer ‘SBB Cargo Schweiz AG’ drängt sich auf, welche sich ausschliesslich auf den Betrieb des Systemverkehrs EWLV konzentriert.

Die nächste Frage ist, ob eine eigenwirtschaftliche und rentable ‘SBB Blockzugszug AG’ weiterhin im Besitz der staatseigenen Bahn verbleiben muss, oder ob sie sich nicht freier und unternehmerischer als selbständiges Unternehmen im europäischen Bahnmarkt bewegen könnte.

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