Zeitenwende in der (Verkehrs-)Politik
Das Schweizer Volk hat Nein gesagt zu sechs Autobahnprojekten. Es wird in Zukunft trotzdem alle Verkehrsträger brauchen, um die Mobilität nachhaltig zu gestalten. Das Nein ist ein Aufruf, den forcierten Ausbau der Verkehrsträger kritisch zu hinterfragen. Dies gilt für Strassenprojekte wie für noch nicht beschlossene Bahnprojekte. Ein Ausbau ist nicht alternativlos. Mit preislichen Massnahmen kann es gelingen, die Mobilität nachhaltig zu bewältigen. Dafür braucht es eine Zeitenwende nicht nur in der Verkehrspolitik.
Eine direkte Demokratie ist eine anspruchsvolle Regierungsform. Umso mehr als die Schweiz sehr vielfältig ist: Vier Kulturen, Stadt und Land, viele Religionen, immer mehr Geschlechter. Die beste Erklärung zum Wesen der Schweiz habe ich von einem umstrittenen und mir politisch nicht nahestehenden Comedian: Andreas Thiel. Er hat das Wesen der Schweizer Demokratie damit erklärt, dass wir immer zu einer Minderheit gehören: Es gibt zwar 62 Prozent Deutschschweizer und Deutschschweizerinnen, aber diese teilen sich in Zürcher, Bernerinnen, Ostschweizer oder Oberwalliserinnen auf. Keine Partei erreicht mehr als 30 Prozent Stimmenanteil auf nationaler Ebene, auch wenn eine Partei für sich in Anspruch nimmt, für das ‘Volk’ zu sprechen. Der Bundesrat besteht aus sieben Mitglieder aus vier Parteien. Der Kompromiss ist somit Programm und Voraussetzung für den Erfolg.
Und hier beginnt das Problem: Die rechtsbürgerlichen Parteien SVP und FDP haben sich entschieden, ihre Positionen als Mehrheitshaltung durch zu drücken. 4 zu 3 Stimmen im Bundesrat oder eine knappe Mehrheit in den Kommissionen scheinen Legitimation genug, für gute Entscheide. Das Ergebnis sind unausgewogene Sparprogramme oder eine forcierte Armeeaufrüstung. Eine Umfrage hat ergeben, dass 35 Prozent der Bevölkerung bei der Armee sparen will (nur 5 Prozent wollen dies im öffentlichen Verkehr tun).
Das Resultat dieser rechtsbürgerlichen Haltung ist eine Niederlagenserie in Volksabstimmungen. Es resultierte nicht nur der abgelehnte Ausbau der Nationalstrassen. Auch zwei Vorlagen, welche die Hausbesitzer im Land der Mieter besser stellen wollten, scheiterten an der Urne. Es reicht nicht, wenn sich der Hauseigentümerverband im Parlament durchsetzen kann.
Grund für die Niederlagen ist eine widersprüchliche Kommunikation der rechtsbürgerlichen Mehrheit:
Die FDP kämpft gegen alle Staatsausgaben (ob für soziale Anliegen oder Entwicklungshilfe, es gibt keine Tabus), für den Ausbau der Nationalstrassen sollen Staatsausgaben jedoch eine gute Sache sein.
Der Bauernverband will kein Land für die Biodiversität opfern, unterstützt aber das Zubetonieren von Landwirtschaftsland für Autobahnen.
Die SVP als Einthemenpartei sieht alle Schuld bei der Zuwanderung und ist überrascht, wenn ihre Parteibasis den gleichen Grund beim Mehrverkehr auf Autobahnen sieht.
Das Nein zum Ausbau der Nationalstrassen ist eine Chance für eine Zeitenwende. In der Verkehrspolitik soll der öffentliche Verkehr weiter ausgebaut werden. Die bereits beschlossenen Projekte dienen dazu, bestehende Überlasten zu beseitigen und sind schnell, aber auch im Kostenrahmen umzusetzen. Ob alle weiteren politisch gewünschten Ausbauten umsetzbar sind, ist vor dem Hintergrund einer wachstumskritischen Bevölkerung fraglich. Nach der Strasse dürfte auch der Bahnausbau irgendwann seine Zeitenwende erleben.
Was sich mit dem Abstimmungsresultat nicht ändert: Für eine nachhaltige Bewältigung der Mobilität braucht es alle Verkehrsträger. Um den Strassenverkehr in den Städten reduzieren zu können, ist es ein gutes Angebot an öffentlichem Verkehr und ein übergeordnetes Strassennetz notwendig, das den Durchgangsverkehr aufnimmt. Strassenausbauten sollen möglich bleiben, aber nur wenn sie zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik beitragen. Agglomerationsprogramme wären hier der richtige Weg, um Verkehr und Siedlung optimal aufeinander abzustimmen. Kantone müssen diese Programme mitfinanzieren, was die Ausbaugelüste begrenzen wird.
Schliesslich ist eine Verkehrspolitik, welche nur auf den Ausbau der Verkehrsträger basiert, kaum zukunftsfähig. Neue Infrastrukturen erhöhen die Nachfrage und führen zu immer weiteren Ausbauten. An einer Verteuerung der Mobilität, was das Verkehrswachstum dämpfen würde, führt kein Weg vorbei. Ohne einen breiten Kompromiss wird ein solcher Schritt kaum umsetzbar sein.
Eine Zeitenwende braucht es auch in der Schweizer Politik. Das rechtsbürgerliche Durchregieren hat zum Stillstand geführt. Die Schuldenbremse ist nicht die einzige Bestimmung in der Bundesverfassung. Sozialer Ausgleich, Umweltschutz oder Förderung des öffentlichen Verkehrs sind gleichberechtigte verfassungsmässige Ziele. Ein Land mit hohem Wohlstand hat unweigerlich eine gewisse Zuwanderung und kaum jemand will auf den Wohlstand verzichten, schon gar nicht Wähler der SVP. Dafür braucht es Lösungen.
Beginnen könnte die Zeitenwende im Bundesrat: Wenn Bundesrätin Karin Keller-Sutter von der Sparfüchsin zur Finanzministerin würde und SVP-Bundesrat Albert Rösti zum Verkehrs- und Umweltminister wäre schon viel gewonnen. Und sie würden auch in Volksabstimmungen gewinnen.